Archiv 2018

Entschleunigte „Alltagsflucht“ ins Mittelalter
03. September 2018, Kieler Nachrichten, Text und Foto Hans-Jürgen Schekahn
Kaufleute und Krieger beim „Lütjenburger Aufbruch“ – Zwei Tage leben wie vor 1000 Jahren
Mehrmals im Jahr versammeln sich Menschen auf der Turmhügelburg, um sich mittelalterlich zu kleiden und für zwei Tage so zu leben wie vor 1000 Jahren. Beim „Lütjenburger Aufbruch“ kamen am Wochenende Krieger, Kaufleute und Kaufmannsfrauen zusammen.
Arne Carlsdotter(46) lebt als „Arnaux“ in der Zeltstadt an der Turmhügelburg. Ein weißes Kreuz prangt auf seinem schwarzen Umhang. Es weist ihn als Hospiltalritter aus, einem mittelalterlicher Orden zugehörig, der sich um die Gesundheit der Menschen kümmerte. In dieser Gemeinschaft hat die heutige Johanniter-Unfallhilfe ihre Wurzeln. Die Johanniter sind auch „Arnauxs“ Arbeitgeber im richtigen Leben. Der Neumünsteraner ist dort tätig als Sanitäter und Sozialarbeiter. Und das brachte ihn auch zu der Gruppe „Hopitaliten Holstein/Hamburg“. Als Sanitätswache auf einem Mittelalterfest vor 20 Jahren kam er auf den Gedanken, sein Äußeres dem Treffen anzupassen. Fortan arbeitete der Sanitäter als „Hospitalritter“ in originalgetreuer Gewandung und mit modernem Sanitätskoffer. Das kann zu Verwechslungen führen. Einmal wollten die Eltern ihn nicht an ihr verletztes Kind lassen, weil sie ihn nicht sofort als richtigen Helfer erkannten.
„Es ist eine Alltagsflucht“, sagt er zu seinem Hobby. Man entschleunige in dem Lager. Vor dem morgendlichen Kaffee erst das Feuerholz hacken. Das beruhige. Aber auch die Errungenschaften der Moderne wie eine gute Zahnbürste hat er beim Mittelalterfest dabei.
Sören Gehrken (44) kommt aus einer ganz anderen Zeit, aus dem Spätmittelalter. In prächtigen Kleidern verwandelt er sich in den Lübecker Kaufmann „Bruno Warendorp“. „Daher kommt auch der Ausdruck ’gut betucht sein’“. Die hansischen Händler liebten es, ihren Reichtum mit edlen Stoffen am Körper zu zeigen.
Eine Schmuckkette, die idealerweise aus Gold wäre, und viele Ringe am Finger unterstreichen das Kaufleute-Image.Die Gewandung inklusive des großen Hutes, Chaperon genannt, hat Gehrken eigenhändig genäht. Nur die Lederschuhe kaufte er sich auf einem Mittelaltermarkt. Als Vorbild für Farben und Formen dienten mittelalterliche Gemälde. „Das ist keine Fantasiekleidung.“ So könnte man sich sehen lassen in den Hansekontoren in Brügge,Nowgorod oder London.
Schon als Jugendlicher begeisterte sich Sören Gehrken für das Mittelalter. Als er für das Studium nach Lübeck zog, fand er zum „Hansevolk zu Lübeck“. Ein Verein, der zum Beispiel eng mit dem Hanse-Museum zusammenarbeitet. Das mittelalterliche Kaufmannstum passt auch zu dem Beruf, den „Bruno Warendorp“ im wahren Leben ausübt. Gehrken arbeitet in der modernen Logistikbranche.

Die Turmhügelburg ist sehr traurig
Stefan Suhr, der beliebte, stets lustige und zu Streichen aufgelegte Verkäufer von Adel und Volk ist ganz plötzlich verstorben.
Wir alle trauern mit seinen Hinterbliebenen und Carola Adler und werden ihn sicher in guter Erinnerung behalten.
Turmhügelburg Lütjenburg

Ehrenamt – ein Gewinn für alle Seiten
19. März 2018, Kieler Nachrichten, Text und Foto Ralf Böttcher
6. Messe der freien Wohlfahrtsverbände im Kreis: Mehr als 50 Stände informierten in Preetz über Projekte
Eine Leistungsschau der Wohlfahrtsverbände war die 6. Ehrenamtmesse des Kreises Plön. An über 50 Info-Ständen waren am Sonnabend in den Schulen am Hufenweg in Preetz die Stützen der Gesellschaft aufgebaut. Erstmals an diesem Ort, der die Ausstellung unter einem Dach ermöglicht. Bei widrigen Verkehrsbedingungen und eisigem Wind waren die vielen interessierten Bürgerinnen und Bürger dankbar für das Angebot. Zweck der Messe ist, Netzwerke zu knüpfen, die Zusammenarbeit zu verbessern, neue Ehrenamtler zu gewinnen.
„Unentschlossenen auf die Sprünge helfen“, wie der Preetzer Bürgermeister Björn Demmin im Grußwort sagte. Dazu gehört auch: Hemmschwellen abzubauen. Kreispräsident Peter Sönnichsen und Schirmherr der Messe, brachte es bei der Eröffnung auf den Punkt: „Lesen Sie nicht die 100 Seiten Anleitung des Landes – dann nehmen Sie nie ein Ehrenamt an.“ Effektiver sei es, sich vor Ort zu informieren. Kai Bellstedt, Sprecher der Kreisarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände, zog zufrieden Bilanz: Starke Beteiligung, guter Besuch, der Veranstaltungsort habe sich bewährt.
Der erste Eindruck beim Rundgang durch die Gänge ist, dass hier kein Aussteller hervorgehoben wird. Eine auffällige Gleichbehandlung, die zum Thema passt. So stößt der Besucher erst spät auf das Projekt von Christine Wulf. Die (hauptamtliche) Ehrenamtskoordinatorin des Kreises hat zehn Interviews mit Flüchtlingshelfern geführt, die sie nun auf großen Schautafeln dokumentiert.
Da berichtet etwa die 70-jährige Cornelia Wentgen vom Plöner Förderkreis Integration über „ihr“ Fußballteam aus Migranten. Siegrun Höltich (73) aus Grebin schildert ihre persönliche Unterstützung einer Familie aus Eritrea, oder der Preetzer Berufsschullehrer Lutz Reinhardt gibt Auskunft über seine Erfahrungen als Sprachpate.„Viele Besucher bleiben stehen und erzählen mir, dass sie selber auch etwas mit Flüchtlingen machen“, berichtet Christine Wulf. Das Ehrenamt sei ein Gewinn für alle Seiten, meint sie: „Den Bedürftigen wird geholfen, die Helfer holen sich die fremde Kultur nach Hause und die Gesellschaft profitiert sowieso.“
Im anderen Flügel des Schulgebäudes sitzen vier Frauen hinter einem Tisch, auf dem sich gefühlt 200 Flyer und Prospekte türmen. Zusammen repräsentieren sie über die Hälfte des Teams, das Mädchen und Frauen sich im Kreis Plön vor Gewalt schützen will. Andrea Heitmann ist eine von vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des 2006 gegründeten Fördervereins Frauenhaus Kreis Plön e. V., die alle in Teilzeit arbeiten. Lena Bandaogo wird vom Kreis bezahlt und unterstützt die Arbeit. Ihnen stehen drei ehrenamtliche Helferinnen zur Seite. Zwei sind am Messestand dabei: Barbara Sommerfeld (69), ehemalige Verlagsbuchhändlerin aus Berlin, hat sich vor zehn Jahren in ihrer Wahlheimat Preetz für dieses Engagement entschieden. „Meine Aufgaben liegen in der Beratungsstelle in der Mühlenstraße“, erklärt sie. Neu im Team ist Frauke von Bodelschwingh. Die Frauenärztin wurde durch den Frauengottesdienst im Dezember auf die Beratungsstelle aufmerksam. Der Förderverein Frauenhaus entwickelte sich aus der Initiativgruppe Frauen in Not, die 1980 von Ehrenamtlern gegründet wurde. Das Team bietet rund um die Uhr Hilfe an unter Tel. 04342/ 82616. „Wir mussten im vergangenen Jahr 220 Anfragen ablehnen“, berichtet Andrea Heitmann.
Weitgehend gewaltfrei geht es auf der Turmhügelburg in Lütjenburg zu und wenn mal nicht, dann allenfalls zum Zwecke mittelalterlicher Darstellung. Kai und Gisela Rösick aus Darry repräsentieren die 400 Mitglieder des Museumsvereins stilecht: Mit Spezialkämmen kardiert der 55-Jährige Wolle und bereitet sie so für das Spinnen vor, seine Frau knackt derweil Walnüsse für die Besucher. „Andere haben Gummibärchen“, schmunzelt die gelernte Mineralogin, die auf der Burg Drehleier, Flöte und Harfe spielt und nebenbei an der Volkshochschule Deutsch unterrichtet. Eine Ehrenamtlerin durch und durch, genau wie ihr Mann. Der Landschaftsplaner ist bei der unteren Naturschutzbehörde in Kiel beschäftigt. 2011 fanden die beiden auf der Turmhügelburg zueinander, fünf Jahre später wurde geheiratet.
Monika Schultka engagiert sich seit 20 Jahren ehrenamtlich für die Kreisjägerschaft Plön. Als Stadtkind hatte die geborene Kielerin wenig mit Natur und Umwelt im Sinn, bis sie eine Stelle beim Landesjagdverband annahm. Jetzt erklärt sie den Besuchern am Info- Stand das Artenschutzprojekt Rebhuhn oder erläutert die Beziehung Wasser, Otter, Mensch. Biologie-Lehrer Andreas Clausen von der Gemeinschaftsschule Brachenfeld in Neumünster freut sich „als Neu-Preetzer“ über das Angebot: „Jetzt kann ich meinen Schülern erklären, was sie beim Keschern in der Schwale finden.“
Reich durch Ehre?
Warum sind nur zehn Prozent der Reichen und zehn Prozent der Armen glücklich – aber 80 Prozent der Behinderten? Warum verdienen Menschen, die ihre Ziele benennen, ein Vielfaches dessen, was ihre „ziellosen“ Artgenossen haben? Und treibt uns das eigene Ego zum Ehrenamt? Mit Fragen wie diesen konfrontierte Mentaltrainer Frank Grell seine Zuhörer am Rande der Messe. „Wie werde ich reich durchs Ehrenamt?“ lautete sein Vortrag.
Nicht auf alles hatte der Versicherungskaufmann eine Antwort. Aber die Lizenz zum Geldverdienen habe immerhin eine Studie der Harvard-Universität herausgefunden. Im Übrigen sei jeder seines eigenen Glückes Schmied: Am Anfang steht der Gedanke, es folgen Worte, Handlungen, daraus entwickelt sich der Charakter und schließlich das Schicksal.
„Der Ehrenamtler hat sich entschieden, dass etwas gut ist“, warb Grell für persönliches Engagement. „Er will machen, nicht jammern.“ Und Aufhören sei jederzeit möglich. „Die große Kraft des Ehrenamtes ist – anders als im Beruf – dass ich entscheiden kann, ob ich weitermache.“ Zurück zur Ausgangsfrage: „Reichtum kann ich erst erwerben, wenn ich etwas spende, Geld oder Zeit. Denn dann weiß ich, dass ich genug davon habe.“

Turmhügelburg mit neuem Fundament
15. März 2018, Kieler Nachrichten, Text Hans-Jürgen Schekahn, Foto Peter Braune
Förderer Klaus Dygutsch gründete eine Burgenstiftung, die für den Unterhalt des Mittelaltermuseums sorgt
Die Zukunft der Turmhügelburg in Lütjenburg liegt in einer Stiftung. Die Stadt Lütjenburg und der Förderverein des kleinen Freilichtmuseums verhandeln über die Modalitäten. Der Vorsitzende des Fördervereins, Hartmut Eller, sagte auf der Jahresversammlung, dass die Stadt dadurch viel Geld sparen würde.
2003 begann der Bau der Turmhügelburg mit dem markanten mittelalterlichen Wehrturm. Es folgten weitere Gebäude wie ein Ritterhaus, Schmiede und eine Kapelle. Entstanden ist ein kleines Dorf, so wie es vor 700 Jahren einmal ausgesehen haben könnte. Zwischen 40 000 und 50 000 Menschen schauten sich im vergangenen Jahr die Anlage an.
Höhepunkte im Jahr sind die drei großen Feste wie das Wikingerlager oder Mittelalterey, bei denen mehrere hundert Menschen in Gewandung die Burg bevölkern und viele Zuschauer anlocken.
Wind und Witterung nagen aber an den originalgetreuen Nachbauten. Bisher fielen die Unterhaltungskosten relativ moderat aus. Bürgermeister Dirk Sohn rechnet für die Zukunft aber mit 20 000 bis 30 000 Euro, die die Stadt pro Jahr in die Unterhaltung der Holzgebäude stecken müsste. Auch im Mittelalter waren die Häuser nicht für die Ewigkeit gebaut. So steht zum Beispiel als eine der nächsten Sanierungsarbeiten eine Neueindeckung des Turms an.
Der Preetzer Unternehmer und langjährige Mäzen der Turmhügelburg, Klaus Dygutsch, will langfristig das Museum unter freiem Himmel absichern. Dazu hat er eine Burgenstiftung gegründet, in die später einmal sein Vermögen einfließt. Die Stiftung unterstützt auch die Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Sie wäre in Zukunft für die Bauunterhaltung zuständig, die im Augenblick eine Aufgabe der Stadt ist. Die Übertragung der Aufgaben an die Stiftung könnte kurzfristig erfolgen. Ein Punkt sind die Fördergelder, die in das Projekt geflossen sind. Sie sind an Fristen und Auflagen geknüpft.
Seit 2004 leitet Hartmut Eller die Geschicke des Vereins für die Turmhügelburg. Er macht es noch zwei weitere Jahre. Die Mitglieder wählten den 75-Jährigen einstimmig erneut zum Vorsitzenden. Eller ist aber schon auf der Suche nach einem Nachfolger, der ihn ablöst. „Ideal wäre ein junger Rentner mit Zeit.“
Hartmut Eller berichtete von einer wachsenden Zahl von Mittelalterfreunden, die sich außerhalb der Feste in den historischen Gebäuden einquartierten. Die sogenannten Burgbelebungen finden großen Anklang bei Besuchern. Eller: „Es finden sich an diesen Tagen doppelt so viele Spenden in den Boxen wie ohne Burgbelebung.“
Ebenso einstimmig wählte die Versammlung Schriftführer Kai Rösick und die Beisitzer Matthias Ehmke, Ulrike Lemanczik und Heinrich Ripke.
Bürgermeister Dirk Sohn nannte in seinen Grußworten die Turmhügelburg einen „Eckpfeiler für den Tourismus und für das Image der Stadt.“ Die Besucher der Anlagen brächten Kaufkraft nach Lütjenburg, das von den Gästezahlen abhängig sei. Der Verein der Turmhügelburg genieße daher eine hohe Wertschätzung bei den Vertretern der Stadt.